
Überblick
Dieser Artikel richtet sich an Personen mit Schulterschmerzen und an Behandelnde, die Übungen zur Rehabilitation der Supraspinatussehne suchen. Ziel ist ein praxisorientierter, evidenzorientierter Leitfaden für schrittweises Mobilisieren, Kräftigen und sichere Progression. Die Inhalte basieren auf etablierten physiotherapeutischen Prinzipien; individuelle Anpassungen sind oft nötig. Bei akutem Verdacht auf Riss, deutlicher Kraftminderung oder neurologischen Ausfällen ist eine fachärztliche Abklärung zwingend.
Was ist die Supraspinatussehne?
Die Supraspinatussehne gehört zur Rotatorenmanschette und verbindet den Supraspinatusmuskel mit dem Oberarmkopf. Sie stabilisiert den Humeruskopf während der Abduktionsbewegung (seitliches Anheben des Arms) und ist anfällig für Überlastung, Entzündung (Tendinopathie) und Einrisse, oft im Kontext von Impingement oder degenerativen Veränderungen.
Die Diagnose erfolgt durch klinische Tests, Ultraschall oder MRT und sollte von Ärztinnen/Ärzten oder Physiotherapeutinnen/Physiotherapeuten gestellt werden.
Weiterlesen: Schulterschmerzen Ursachen – Übersicht zu typischen Ursachen und warum die Supraspinatussehne oft betroffen ist.
Evidenzbasierte Übungsprinzipien
Therapieprinzipien zielen darauf ab, Schmerz zu reduzieren, die Gleitfähigkeit der Sehne im Subacromialraum zu verbessern und die muskuläre Balance wiederherzustellen. Wichtige Mechanismen sind lastangepasste Belastung (progressive Kraftaufbau), Verbesserung der Scapula-Stabilität (Schulterblattsteuerung) und neuromuskuläre Kontrolle der Aussenrotation. Passive Dehnungen allein helfen wenig; aktive, schmerzadaptiert gesteuerte Übungen sind effektiver.
Pendulum-Initialisierung für die Supraspinatussehne
- Ausgangsposition: Vorbeugen des Oberkörpers ca. 30–45°, gesunde Hand stützt sich z.B. an Tisch.
- Lockeres Pendeln: betroffene Hand leicht hängen lassen, kleine kreisende Bewegungen (<10°) mit dem Oberarm.
- Atemrhythmus: gleichmässig atmen, keine Luft anhalten; Bewegung mit Ausatmung leicht verstärken.
- Dauer & Frequenz: 1–2 Minuten pro Serie, 3 Serien pro Tag in akuter Phase.
- Progression: schrittweise Radius und Zeit erhöhen, erst wenn keine Zunahme der Schmerzen nach 24–48 h.
- Abbruchkriterium: stechender Schmerz oder plötzliche Kraftminderung.
Für die Kräftigung ist ein ekszentrisches Training (langsames Absenken) der Supraspinatus-Anbindung günstig, besonders bei chronischer Tendinopathie. Scapula-Kontrolle (Retraktion, Depressionsfähigkeit) reduziert mechanische Belastung im Gleitspalt. Bei eingeschränkter Aussenrotation kann Isometrie ein erster Schritt sein; dynamische Belastung erst, wenn Schmerzen gut kontrollierbar sind.
ℹ️Safety Tip:
Manche Konzepte wie reine Ruhigstellung oder alle Überkopfübungen sofort vermeiden, sind nicht zielführend; frühe, kontrollierte Aktivität fördert die Sehnenheilung und Funktion. Eine physiotherapeutische Anleitung ist besonders am Anfang sinnvoll, um Fehlbelastungen zu vermeiden.
Weiterlesen: Schulterschmerzen & Nacken – Relevanz von Haltungs- und Nackenbefunden für die Schulterfunktion.
Schritt-für-Schritt-Übungen
Im Folgenden 6 praxisnahe Übungen. Bei akuten Schmerzen ist die Dosierung konservativ; in der subakuten oder chronischen Phase intensiveres Kräftigungsprogramm. Alle Angaben: Sätze × Wiederholungen × Frequenz/Woche. Abbrechen, wenn neu aufgetretene Lähmungserscheinungen, Taubheit im Sattelbereich oder Blasen-/Darmstörungen auftreten.
1. Codman/Pendel
Ausführung: Oberkörper leicht vorbeugen, gesunde Hand stützt, betroffener Arm entspannt hängen lassen; kleine Kreisbewegungen (Uhrzeigersinn und gegen Uhr). Dosierung: 3 × 1–2 Minuten täglich; Progression: Radius und Dauer langsam erhöhen. Abbrechen bei stechendem Schmerz.
2. Aktive Abduktion bis 45° (schmerzangepasst)
Ausführung: Stehend, Arm seitlich anheben bis maximal 30–45° (unterhalb des kritischen Impingementbereichs). Dosierung: 3 Sätze × 10–15 Wdh., 3×/Woche. Progression: Erhöhen der Wiederholungen oder Zusatzgewicht (z. B. 0.5–1 kg), erst wenn schmerzfrei.
3. Aussenrotation mit Theraband (stehend)
Ausführung: Ellbogen am Körper, Theraband aussen fixieren, Forearm nach aussen drehen. Dosierung: 3 × 10–15 Wdh., 3×/Woche. Progression: stärkere Bandresistenz, exzentrisch langsames Rückführen (3–4 s).
4. Scapula-Retraktion/Row (Theraband)
Ausführung: Theraband vor Brust, Schulterblätter zusammenziehen, Ellbogen nah am Körper. Dosierung: 3 × 12–15 Wdh., 2–3×/Woche. Ziel: Verbesserung der Schulterblattposition und Verminderung des Subacromialdrucks.
5. Isometrische Aussenrotation
Ausführung: Ellenbogen 90° am Körper, Hand gegen Türrahmen drücken, Spannung 6–10 s halten. Dosierung: 3 × 6–8 Wiederholungen, täglich, als Einstieg bei akuten Schmerzen. Progression: dynamische Wiederholungen.
6. Exzentrisches Heben/Absenken (seitliche Heben)
Ausführung: Arm mit leichter Last seitlich anheben (konzentrisch kontrolliert), langsam über 4–5 s absenken (exzentrisch). Dosierung: 3 × 8–12 Wdh., 3×/Woche. Progression: Erhöhen Gewicht langsam; bei Schmerzabnahme Intensität steigern.
ℹ️Tipp:
Wichtig ist die Kombination aus Scapula‑Kontrolle, Aussenrotationskraft und langsamer exzentrischer Belastung. Bei radiierender Schmerzverteilung oder Verdacht auf Teilausriss ist vor intensiver Kräftigung eine bildgebende Abklärung sinnvoll.
Weiterlesen: Übungen gegen Schulterschmerzen – weitere praktische Übungsvorschläge zur Schultermobilisation und Kräftigung.
Sicherheit & Kontraindikationen
Grundsätzlich gilt: Übungen sollen schmerzangepasst sein. Leichte bis moderate Schmerzen während oder kurz nach der Übung können tolerierbar sein, wenn sich der Zustand innerhalb von 24–48 Stunden nicht verschlechtert. Starker, stechender Schmerz oder neu auftretende Schwäche sind Warnsignale.
Kontraindikationen & Vorsicht bei:
- Akut entzündlichen Prozessen mit sichtbarer Schwellung oder Fieber
- Kombination aus starken Schmerzspitzen und deutlicher Kraftminderung
- Unklarer, rasch progredienter Funktionsverlust
- Patientinnen/Patienten mit gerinnungshemmender Medikation vor invasiven Interventionen (bei Injektionen oder Elektrotherapie Rücksprache notwendig)
Bei älteren Patientinnen/Patienten mit degenerativen Veränderungen wird häufig konservativ vorgegangen; operative Optionen werden bei persistierenden Schmerzen und funktionellem Defizit geprüft.
Wann zum Arzt
Sofortige Abklärung bei folgenden Symptomen:
- Neu aufgetretene Lähmungen
- Taubheitsgefühl im Sattelbereich oder ausgeprägte Sensibilitätsstörungen
- Blasen- oder Darmfunktionsstörungen
- Fieber, starker nächtlicher Schmerz oder deutliche Schwellung
- Akutes Trauma, Verdacht auf kompletten Sehnenriss oder Tumor/Infekt
Weiterlesen: Diclofenac Anwendung – Hinweise zu NSAR in der Schmerztherapie und Sicherheitshinweise.
Häufige Fehler & Mythen
Mythos: «Schonung heilt die Sehne am besten.» Fakt: Zu lange Ruhigstellung fördert Muskelschwäche und beeinträchtigt das Gleitverhalten; zielgerichtete, schmerzadaptierte Aktivität ist meist sinnvoller.
Mythos: «Alle Überkopfübungen sind verboten.» Fakt: Früh eingeschränkte Abduktion (<45°) zur Schmerzreduktion kann sinnvoll sein, aber langfristig wird funktionsorientiertes Training über den vollen Bewegungsumfang angestrebt.
Fehler: Ungenaue Technik bei Aussenrotation und fehlende Scapula‑Stabilität. Korrektur: Üben Sie zuerst Isometrie und Scapula‑Retraktion, bevor Sie in belastete Dynamik gehen.
ℹ️Tipp:
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