Medizinisches Cannabis hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, besonders in der Behandlung chronischer Schmerzen, Schlafstörungen, ADHS und neurologischer Erkrankungen. Doch ein wichtiger Aspekt, der häufig übersehen wird, ist der Einfluss von Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit. Verschiedene Studien haben den möglichen Einfluss sowohl von freizeitlichem Cannabiskonsum als auch von medizinischem Cannabis in unterschiedlichen Testszenarien untersucht. Diese Übersichtsarbeit basiert auf den Erkenntnissen zweier Forscherteams: dem australischen Team um den Pharmakologen Thomas Arkell von der Swinburne University of Technology und dem amerikanischen Team um den Medizintoxikologen Mark Neavyn von der University of Massachusetts Medical School. Beide Gruppen haben relevante Studien gesichtet und zentrale Schlüsse zur Fahrtüchtigkeit nach Cannabiskonsum gezogen.
Zusammenhang zwischen der Einnahme von Cannabis und dem Unfallrisiko
Die Forscherteams analysierten sogenannte epidemiologische Studien, die Unfallraten in der realen Welt beobachten und diese mit bestimmten Faktoren in Beziehung setzen. Arkell und Kollegen berichteten, dass Fahrer unter Cannabiseinfluss ein 10-40 % erhöhtes Risiko aufweisen, in einen Autounfall verwickelt zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, Unfallverursacher zu sein, sei im Vergleich zu nüchternen Fahrern ebenfalls erhöht. Es gibt jedoch auch große Studien, die keine Hinweise auf eine erhöhte Unfallrate unter Cannabiseinfluss finden konnten. Konsens der meisten Studien ist, dass der Konsum von Cannabis in einer durchschnittlichen Menge das Risiko eines Unfalls in etwa so stark erhöht wie eine Blutalkoholkonzentration von bis zu 0,05 g/L.
Neavyn und sein Team machen jedoch auf wichtige Einschränkungen aufmerksam: Die meisten Daten basieren auf dem nicht-medizinischen Konsum von Cannabis. Diese Bevölkerungsgruppe zeigt häufig eine risikoreichere Fahrweise, was bei der Einnahme von medizinischem Cannabis nicht festgestellt werden konnte. Zudem spielen bei Unfällen vielfältige Faktoren wie Schlafentzug eine Rolle, sodass der Einfluss von medizinischem Cannabis auf die Unfallstatistik nicht eindeutig festzustellen ist.
Auswirkungen der Einnahme von Cannabis in Simulationsstudien zur Fahrtüchtigkeit
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es zahlreiche Studien, die in Simulationsszenarien psychomotorische Fähigkeiten wie Koordination und Reaktionsgeschwindigkeit vor und nach Cannabiseinfluss messen. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für das Führen eines Fahrzeugs. Leider bestehen hierfür keine standardisierten Studiendesigns, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschwert.
Arkell und Kollegen stellten jedoch fest, dass eine hohe Dosis akut verabreichten Cannabis die kognitiven und psychomotorischen Leistungen zumindest mittelfristig beeinträchtigt. Diese theoretischen Ergebnisse lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres auf reale Verkehrssituationen übertragen. Interessanterweise fahren Autofahrer, die Cannabis konsumieren, langsamer, halten größere Abstände ein und überschätzen ihren Rauschzustand.
Die Forscherteams berichten von einer Studie, die zeigte, dass fahrbezogene kognitive Fähigkeiten innerhalb von etwa fünf Stunden nach dem Inhalieren von 20 mg THC wieder auf das Ausgangsniveau zurückkehren. Eine andere Studie fand heraus, dass Probanden nach der Inhalation von 13,75 mg THC für 40-100 Minuten klinisch relevante Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit zeigten, aber nach 4-5 Stunden keine Beeinträchtigungen mehr feststellbar waren. Einige Langzeitstudien zeigen jedoch, dass die psychomotorischen Fähigkeiten bis zu 24 Stunden beeinträchtigt sein können, wobei diese Studien keine explizite Fahrleistung im Straßenverkehr untersuchten.
Insgesamt empfehlen die Forscher, nach der Einnahme von medizinischem Cannabis für mindestens acht Stunden auf das Führen eines Fahrzeugs zu verzichten, um potenzielle Risiken zu minimieren.
Unterschiede zwischen medizinischem und nicht-medizinischem Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit
Ein entscheidender Punkt bei der Betrachtung wissenschaftlicher Studien ist die Unterscheidung zwischen medizinischem und nicht-medizinischem Cannabiskonsum. Die meisten Studien zum Thema Cannabis und Fahren konzentrieren sich auf den nicht-medizinischen Konsum, insbesondere bei jungen, gesunden Teilnehmern, die Cannabis gelegentlich in berauschenden Mengen konsumieren. Patienten hingegen nehmen medizinisches Cannabis in der Regel täglich, über längere Zeiträume und in symptomorientierten Dosen ein. Dies führt zu einer pharmakologischen Toleranz gegenüber der THC-Wirkung, was die Beeinträchtigung des Fahrverhaltens abmildern könnte.
Eine wichtige Studie zeigte, dass Teilnehmer mit täglichem Cannabiskonsum von 10 mg THC oder 20 mg Dronabinol (synthetisches THC) keine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens aufwiesen, im Gegensatz zu gelegentlichen Konsumenten, die unter einer höheren Dosis deutliche Einschränkungen zeigten. Dies deutet darauf hin, dass die Fahrtüchtigkeit insbesondere in den frühen Phasen der THC-Behandlung am meisten eingeschränkt ist. Auch das subjektive „High-Gefühl“ scheint starke Auswirkungen auf das Fahrverhalten zu haben, welches Patienten unter medizinischem Cannabis selten erleben.
Es gibt aktuell keine Studien, die eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit explizit nach der Einnahme von medizinischem Cannabis nachweisen. Eine Umfrage unter australischen Cannabis-Patienten zeigte, dass 71 % der Befragten sich durch ihre Medikation im Straßenverkehr nicht eingeschränkt fühlten.
Auswirkungen von Cannabidiol (CBD) auf das Fahrverhalten
Während die Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit durch Cannabis insbesondere auf den psychoaktiven Wirkstoff THC zurückgeführt werden, gibt es keine Hinweise darauf, dass die Einnahme von reinen CBD-Produkten nachteilige Effekte hat. Auch die Kombination von CBD mit anderen Substanzen wie Alkohol, obwohl wenig untersucht, scheint keinen verstärkenden Effekt zu haben.
CBD ist jedoch ein relevanter Inhibitor von Stoffwechselenzymen, die zum Abbau anderer Medikamente benötigt werden. In Kombination mit zentral wirksamen Medikamenten sollte daher vor der Einnahme von CBD und der Teilnahme am Straßenverkehr ein Arzt oder eine Ärztin konsultiert werden.
Einnahme von Cannabis mit anderen psychoaktiven Substanzen
Beide Forscherteams sind sich einig, dass das Ausmaß der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit durch die gleichzeitige Einnahme von (medizinischem) Cannabis und anderen psychoaktiven Substanzen wie Alkohol erheblich verstärkt werden kann. Patienten sollten dringend darauf hingewiesen werden, dass eine Kombination dieser Substanzen das Unfallrisiko erheblich erhöht.
Besonders im Vergleich zu Alkohol sei darauf hinzuweisen, dass es keinen klaren Zusammenhang zwischen der Höhe der THC-Dosis und möglichen Einschränkungen gibt. Dies bedeutet, dass die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit durch eine gewisse Menge THC individuell verschieden ausfällt.
Medizinisches Cannabis in der Schweiz
In der Schweiz ist die Therapie mit medizinischem Cannabis legal und kann unter bestimmten Voraussetzungen von Ärzten verschrieben werden. Unsere Kooperationsärzte sind in der Verschreibung und Überwachung von medizinischem Cannabis geschult und begleiten Dich durch den gesamten Therapieprozess. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Patienten, die medizinisches Cannabis einnehmen, sich über die möglichen Auswirkungen auf ihre Fahrtüchtigkeit bewusst sein sollten.
Fazit
Die Teilnahme am Straßenverkehr ist eine komplexe Aufgabe, die eine Vielzahl kognitiver und psychomotorischer Funktionen erfordert. Freizeitlicher Cannabiskonsum kann das nachweislich erhöhen. Auch Patienten mit medizinischem Cannabis sollten immer vorsichtig sein und nach der Einnahme von Cannabis mindestens acht Stunden warten, bevor sie ein Fahrzeug führen. Besonders bei der Kombination von Cannabis mit anderen Substanzen ist Vorsicht geboten. Wenn Du in der Schweiz lebst und über eine Therapie mit medizinischem Cannabis nachdenkst, können Dir unsere Kooperationsärzte dabei helfen, eine sichere und effektive Behandlung zu finden.